Nachrichten aus unserer Arbeit - fashion interACTION

Was die Textilindustrie braucht: Dekoloniale Nachhaltigkeit

Am 12. März war Prof. Dr. Katrina Sark von der University of Southern Denmark zu Gast bei fashion interACTION. In ihrem Vortrag erläuterte sie nicht nur ihr Konzept einer dekolonialen Nachhaltigkeit, sondern zeigte auch auf, wie dekolonial-nachhaltige Prozesse Lösungen für die größten Probleme der Textilindustrie bieten können.

Die nachfolgende Zusammenfassung basiert auf den Forschungsergebnissen von Katrina Sark, die sie im Rahmen der oben genannten Veranstaltung vorgestellt hat. Eine Publikation der Forschungsergebnisse ist in Arbeit.

Sarks Verständnis von dekolonialer Nachhaltigkeit geht über die bekannten Nachhaltigkeitsmodelle mit ihren ökologischen, ökonomischen und sozialen Elementen hinaus und nimmt Macht- und Wissensstrukturen wie auch lokale Gemeinschaften und deren Kulturen in den Blick. Aus dieser Perspektive sucht Sark nach Wegen, wie die Textilindustrie nachhaltiger werden und gleichzeitig Machtstrukturen aufbrechen und lokale Gemeinschaften stärken kann.

Als Hauptproblem der Textilindustrie identifiziert Sark Überproduktion und -konsum. Wir leben ihrer Auffassung nach in einer Welt, in der das Wegwerfen und das Sich-Nicht-Kümmern-Müssen zu einem Statussymbol geworden ist. Dieses Verhalten geschieht auf Kosten der Umwelt und der Arbeiter*innen im Globalen Süden, während große Konzerne im Globalen Norden davon profitieren. Als Lösung präsentiert Sark in Anlehnung an Niessen (2022), Hickel (2020) und Fletcher und Tham (2019) die Prinzipien “Degrowth”, “Decentering” und “Defashion”. Ökologische Systeme können industrielle Prozesse, auch wenn diese auf immer effizientere Praktiken setzen, nicht länger aushalten. Somit sind auch Recycling- und Kreislaufwirtschaftsmodelle keine langfristige Lösung, da sie die Logiken des kapitalistischen Systems nicht hinter sich lassen. Stattdessen braucht es Wirtschaftshandeln, dass ein “Weniger” praktiziert – weniger Produktion, weniger Konsum, weniger Besitz.

Neben dem “Weniger” macht Sark die Pluralität von Fashion und Fashionsystemen stark. Bisher wurden Trends im Globalen Norden gemacht, wobei der Umgang mit und die Bedeutung von Textilien und Mode im Globalen Süden stark vernachlässigt wurde. Das Schaffen multipler Mode- und Kleidungssystemen geht über Claims wie “Fair Pay, Fair Work” hinaus. Defashion-Praktiken erkennen lokales Wissen an, fördern Handwerk und Kreativität und tragen letztlich zu einer gesteigerten Wertschätzung von Kleidung bei.

Ein weiteres zentrales Problem sieht Sark in der weiten Verbreitung von kultureller Aneignung in der Mode- und Textilindustrie. Bedeutungsvoller Kopf- und Körperschmuck oder indigene Muster werden regelmäßig entkontextualisiert und exotisiert, um kapitalistischen Zwecken zu dienen. Nach Sark müssen sich Designer*innen, Konzerne sowie Konsument*innen des eigenen Rassismus und der anhaltenden kolonial-rassistischen Strukturen bewusst werden. Ferner sollten Design- und Konsumprozesse inklusiv, gerecht und antirassistisch gestaltet werden. Dies gelingt u.a., indem Gestalter*innen von Kleidung in engem Austausch mit den Träger*innen von Kleidung stehen, kreatives und kollaboratives Arbeiten wichtiger und Mode und Kleidung als kulturelles Gut verstanden wird und nicht nur als kommerzielles Produkt. Wesentlich für Sarks Argumentation sind an dieser Stelle die Arbeiten von Saad (2020), Constanza-Chock (2020) und Kendi (2019).

Mit diesen Problemaufrissen und Lösungsvorschlägen hat Katrina Sark im Netzwerk viele Gedankengänge angestoßen - vielen Dank dafür!

Wer den Vortrag noch einmal anschauen will, findet ihn in der Cloud des fashion interACTION-Netzwerks. Infos zu fashion interACTION und den Link zur Registrierung.

Zur Person

Kat SarkProf. Dr. Kat Sark ist Associate Professor am Fachbereich Design, Medien und Bildungswissenschaft der Universität of Southern Denmark in Kolding. Ihre Spezialgebiete sind Kulturanalyse, Kulturgeschichte, Medien, Gender Studies, Nachhaltigkeit und Dekolonialität. Sie ist Gründerin des Canadian Fashion Scholars Network, Mitbegründerin der Urban Chic-Buchreihe und Mitautorin von Berliner Chic: A Locational History of Berlin Fashion (2011) und Montréal Chic: A Locational History of Montreal Fashion (2016) und Copenhagen Chic: Eine Standortgeschichte der Kopenhagener Mode (2023). Zu ihren weiteren Veröffentlichungen gehören Branding Berlin (2023), Social Justice Pedagogies (2023), eine Sonderausgabe zu Ethical Fashion and Empowerment in Clothing Cultures (2021) sowie Kapitel in Cultural Topographies of the New Berlin (2017) und World Film Locations: Berlin (2013). Sie ist die Schöpferin des Chic Podcast, der sich den Themen Mode, Design, Kultur, Nachhaltigkeit, Dekolonialität, Medien und Technologie widmet.

 

Quellen:

Sark, Katrina. "Decolonial Sustainability." FEMNET Guest Lecture. March 12, 2024.

Constanza-Chock, Sasha. Design Justice: Community-Led Practices to Build the Worlds We Need. Cambridge: MIT, 2020.

Fletcher, Kate & Tham, Mathilda. Earth Logic: Fashion Action Research Plan. London: JJ Charitable Trust, 2019.

Hickel, Jason. Less is More: How Degrowth Will Save the World. London: Penguin Random House, 2020.

Kendi, Ibram X. How to Be an Antiracist. New York: One World, 2019.

Niessen, Sandra. “Fashion, its Sacrifice Zone, and Sustainability.” Fashion Theory, 24:6, 2020.

Saad, Layla F. Me and White Supremacy: Combat Racism, Change the World, and Become a Good Ancestor. London: Quercus, 2020.

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